Vor zwei Tagen durfte ich in Chemnitz einen kleinen Gastvortrag halten, den Chemnitzer Studis ein bisschen was über Parlamente erzählen. Das war sehr nett – nicht nur, weil ich im Anschluss des nächtens von den lieben Chemnitzer KollegInnen sogar noch am Karl (siehe Impression rechts) vorbeigefahren wurde. Und auch nicht nur (aber auch 🙂 ), weil ich als “eine der führenden ParlamentssoziologInnen in Deutschland” vorgestellt wurde (dass es kaum SoziologInnen gibt, die sich mit Parlamenten auseinandersetzen, es also nicht schwierig ist, “führend” zu sein, kann man an dieser Stelle ja vornehm verschweigen…). Schon die Diskussion im Anschluss an den Vortrag war witzig: es ging viel um die Frage, was man denn wie ändern müsste, damit das mit dem Verhältnis Politik und Gesellschaft besser funktioniert? Da ist man auf einmal selbst politisch gefragt, eine neue Perspektive auf das Politische ist zu entwerfen. Es stellt sich ein Gefühl dafür ein, wie das für PolitikwissenschaftlerInnen immer sein muss, bei denen die Trennung zwischen Wissenschaft und Politik ja nicht selten (und nicht selten polemisch) hinterfragt wird: man wird für aktuelle gesellschaftliche Fragen, für aktuelle Probleme in Anspruch genommen, ob man sich das nun so vorgestellt hat oder nicht.
In kleinerer Runde hinterher ging es dann auch (aber nicht nur) um für mich spannende wissenschaftliche Fragen: Welche Rolle spielt Kreativität im Prozess der politischen Evidenzerzeugung? Hilft der Kreativitätsbegriff überhaupt weiter? Und was ist mit dem Rationalitätsbegriff? Oder liegt der Clou gerade darin, nicht in Kategorien von Rationalität denken zu müssen? Aber für die Überlegung zur demokratischen Form der politischen Evidenzereugung muss man dann doch wieder genau darüber nachdenken, oder? Mit welcher Dimension von vermittelter Neuheit haben wir es hier eigentlich zu tun? “Echte” Neuheit, oder ist das Meiste doch nur Reformulierung des Vorhandenen? Und kann man, wie ich das in Anlehnung an Bourdieus Verständnis des Politischen als “kulturelle Produktion” derzeit handhabe, Materialität wirklich aus der grundbegrifflichen Herangehensweise an das Politische heraushalten? Zumindest auf die letzte Frage kann ich für mich eine vorläufige Antwort geben: aus meiner Sicht ist das Politische treffend beschrieben als diejenige Sphäre, die mit der aktiven Einflussnahme auf die symbolische Ordnung befasst ist. Klar hat Materialität einen Einfluss auf diesen Prozess – nicht zuletzt wird das in Parlamenten an Papierfluten und der Präsenz moderner Medientechnik sichtbar. Aber die Frage nach der symbolischen Ordnung bleibt zentraler Bezugspunkt, weil es politisch (differenzierungstheoretisch gedacht) genau darum geht. Jetzt kann man natürlich einwerfen: hier fließen aber unreflektierte Korrespondenzunterstellungen zwischen Theorie und ihrem “realen” Bezugspunkt ein, werden hier nicht irgendwie Aussagen zum “Wesen” eines Phänomens gemacht, und ist das nicht problematisch? Dazu würde ich vorläuf sagen: Hm. Muss ich drüber nachdenken, aber irgendwie scheint mir das das Wesen der Sache zu treffen…
Nicht das hinterste Erkenntnismoment meines Ausflugs nach Chemnitz resultierte übrigens aus der Zugfahrt. Wenn man beim Eintritt zweier dunkelhäutiger Menschen in den Sachsen-Express im Hirn-Hinterkammerl unwillkürlich denkt: “Oh, Schwarze. In Sachsen. Mutig!”, dann ist es wohl an der Zeit, sich ernsthaft mit den eigenen Klischees auseinanderzusetzen.