Für mich ist der Soziologiekongress spannend. Er ist anstrengend. Ich verbinde ihn mit Vorfreude. Er bedeutet Frustration. Und er bringt mich zum Nachdenken, weil ich dort Strukturen (vor allem Strukturen der Wissenschaft) begegne, auf die ich mit Emotionen reagiere. Eine kleine Selbstbeobachtung.
Splitter 1. Ja, ich freue mich auf den Kongress. Weil man viele Leute wiedersieht, bei denen es sonst an Gelegenheiten zum Wiedersehen fehlt, und weil man Leute treffen kann, die man schon lange mal in live sehen wollte. Das Ausmaß der damit verbundenen Anstrengung trifft mich dann doch immer wieder etwas unvorbereitet – klar, es gibt da meine allgemeine Disposition, zu viel ununterbrochene Sozialität nicht gut verkraften zu können. Aber anstrengend ist es wohl vor allem wegen der Tendenz meines Hirns, trotz wirklich massiver Geistesarbeit meine Gegenüber immer noch nicht hierarchiefrei denken zu können. Klingt idealistisch, wird aber von der wissenschaftlichen Professionellen erwartet. Mit anderen Worten: manchmal bin ich aufgeregt, manchmal weiß ich nicht, was ich sagen soll (würde aber sehr gerne etwas sehr Schlaues sagen), manchmal muss ich echt gegen den Impuls ankämpfen, mich vor irgendwem zu verstecken (manchmal verliere ich den Kampf, meist aber nur temporär 🙂 ). Mein Wissenschafts-Über-Ich (es hat auch ein Gesicht, aber ich verrate nicht, welches) flüstert mir dann zu, dass das aber gar nicht professorabel ist (muss ich das denn sein? jetzt schon und komplett? frage ich mich erschrocken… Üben, üben, üben, kommt es zurück, oder besser: “be it or leave it!”). Und der abgebrühte Soziologen-Realist blickt mich leicht überheblich von der Seite her an: Boah, Hierarchiefreiheit… wo lebst du denn?! Trotzig flackert es dann in meinem linken Hirnkammerl auf: Und es macht doch einen Unterschied, wie ich den Menschen begegne.
Splitter 2. Ich muss mich aber nicht nur immer wieder entscheiden, meinen Gegenübern als gleichgestellt zu begegnen. Immer und immer wieder entscheiden muss ich mich auch dafür, worum es mir bei all dem eigentlich geht. Ständig höre ich nämlich denselben abgebrühten Soziologen-Realisten näseln: du, das Netzwerken und so, das ist SUPERwichtig für die Karriere! Karriere will ich machen (aus welchen Gründen ist die Frage). Aber was heißt eigentlich Netzwerken? Klingt nach einer rein strategischen Orientierung am Gegenüber, nach an Köpfen festgemachten Kosten-Nutzen-Rechnungen. Das kann man normativ blöd finden. Ich finde das auch normativ blöd (der Soziologen-Realist verdreht die Augen) – aber nicht nur. Blöde finde ich das auch, weil meine Arbeit dadurch schlechter wird. Wenn es mir bei meinen Gesprächen mit den Leuten hier um nix geht (außer meiner Karriere), dann lerne ich nix, dann bleibt das hohl, dann langweile ich mich tierisch. Für mich macht es einen Unterschied, mit welchem Motiv ich mich anderen zuwende – um sie als Ressource zu nutzen? Oder um offen zu bleiben für andere Perspektiven, um gemeinsam vielleicht spannende Ideen zu entwickeln, etwas zu gestalten (wie PolitikerInnen, und mit Recht, so gerne formulieren)? Wieder höre ich jemanden höhnisch lachen (diesmal vielleicht den Poststrukturalisten? den Post-Subjektivisten? den Rational-Choicer?): pffff, das wird ja immer schlimmer… “Motive”… Erst Hierarchiefreiheit, dann das – idealistischer (will heißen: soziologisch absurder) geht es ja kaum. Aber was ich sage beruht ja auf empirischen Beobachtungen! Empirischen Beobachtungen an mir selber nämlich: Wenn ich mich rein strategisch an einer Sache orientiere wird es halt viel schlechter, als wenn ich mich auf die Sache selbst einlasse. Isso. Was ich damit natürlich nicht sagen will ist, dass mein Tun wegen dieser Orientierung in irgendeiner Weise macht- oder hierarchiefrei wäre (DAS wäre soziologisch absurd). Ich denke nur, dass die so gängige Nebeneinanderstellung – entweder Inhalte, oder Macht – eine falsche Prämisse bildet und dass nicht per se “realistischer” ist, was die Welt als Machtgeschehen zu entschlüsseln sucht. Aber das würde ich mir bei anderer Gelegenheit gerne kohärenter überlegen, mal sehen.
Splitter 3. Und, speaking of Macht. Da war ja auch noch mein Vortrag, zu parlamentarischer Arbeit halt wieder (das nächste Mal würde ich dann wieder zum freien Vortrag übergehen 🙂 ). Über den Vortrag selbst hab ich jetzt gerade nix Spannendes über das hinaus zu sagen, was ich eh immer sage. Im Nachgang erwische ich mich aber dabei, dass ich insbesondere über zwei (damit offensichtlich sehr wichtige und spannende!) Reaktionen in der anschließenden Diskussion immer wieder nachdenke (aufgegriffen übrigens im “echten” Bamberger Splitter zur Freitagssession der Sektion Politische Soziologie: “Im Herzen des maschinisierten Kartenhauses”). Die erste war die Frage, ob meine Perspektive auf Politik nicht eine (schon wieder…) idealistische Perspektive sei – ob nicht meine Rede von der Produktion wirkmächtiger Ideen im politischen Prozess eine drastisch vereinseitigte Perspektive im Anschluss an Theorien demokratischer Deliberation darstellen würde. Das Interessante ist ja (finde ich!), dass man politische Ideen eben auch unter einem anderen Blickwinkel betrachten kann. Also wieder kontra die Gegenüberstellung: entweder vernunftgeleiteter Diskurs über Inhalte, oder Machtgeschehen. Sondern gerichtete Produktion evidenter Ideen, um Gruppen (und damit auch: Macht) auf die eigene Seite zu bringen. Die zweite Frage ging in die Richtung, ob meine Ergebnisse nicht vor allem deskriptiv interessant wären. Nachdem ich zunächst einmal offenbar daneben geantwortet habe, dann die präzisierende Ergänzung: die Frage nach Macht, dieser so wichtigen politischen Größe, sei ja nur angeteasert worden. Aber darauf habe ich jetzt noch keine endgültige Antwort: ist etwas denn deskriptiv, solange es die Frage nach Machtprozessen nicht ins Zentrum stellt? Ist das, was ich gemacht habe, wirklich deskriptiv (wo ich doch selbst irgendwo geschrieben habe, das Gros bisheriger Ergebnisse zur parlamentarischen Praxis seien nur deskriptiv gewesen… und jetzt komme ich… oh je…)? Wo es mir doch um die Isolierung von Einflussfaktoren (Arbeitsgegenstand, Arbeitsmodi, Interaktionsformen) und deren Zusammenwirken geht? Hm. Was ist Deskription? Und warum fühle ich mich jetzt ein bisschen beleidigt? (Aber nicht wirklich, mir geht’s ja um die Sache :-))
So, was habe ich daraus gelernt? Dass ich noch weiter über das Verhältnis von Inhalt, Macht (und Kritik!) nachdenken muss. Außerdem: Bei mir sitzen nicht Engel und Teufel – “Engel links, Teufel rechts” – auf den Schultern. Sondern ein überheblicher Soziologen-Realist und ein einschüchterndes Wissenschafts-Über-Ich. Na toll.