Oh Motivation, du seltsames Huhn.

HuhnGibt es sie, die Motivationsbolzen, die immer gleichermaßen stramm vor der Arbeit stehen? Die unbeirrbar und ohne zu schwanken jeder Versuchung trotzen, etwas anderes zu machen? Jedenfalls gibt es zumindest Erzählungen über sie. Und Erzählungen über essentiell Dauermotivierte haben unangenehmerweise die bekannte Nebenwirkung, Demotivation zu erzeugen. Dabei habe ich den Verdacht, dass ich in manchen Erzählungen selbst als dauermotiviertes Leistungstier repräsentiert bin: “Wie macht sie das nur, mit den Kindern und der Wissenschaft und so?!” Wenn ich dann mal in ein Motivationstief rutsche,

komme ich mir ein bisschen vor wie eine Blenderin – eine, die es irgendwie geschafft hat, ein schmeichelhaftes Bild von sich zu erzeugen, dem sie aber in Wirklichkeit nicht gerecht wird.

Gehe ich von meiner eigenen Erfahrung der Diskrepanz zwischen kontinuierlich motivierter Erscheinung und der Motivationsschwankung unterliegenden Wirklichkeit aus, nehme noch die vielen Gespräche mit KollegInnen hinzu, so verdichtet sich, was eigentlich eh jeder weiß (gut, dass wir diese Übung gemacht haben…): Das mechanisch motivierte Wesen gibt es nicht, oder zumindest fast nicht, mir ist es in jedem Fall noch nicht begegnet. Wie tröstlich. Vor allem, weil ich gerade aus einem Motivationstief komme. Jetzt geht’s mir wieder ziemlich gut – offensichtlich, woher würde sonst die Motivation kommen, einen eigentlich unnützen Text wie diesen hier zu schreiben… Weil es dort nicht so schön war, ist Reflexion aber wohl nicht unangebracht. Bleibt zu hoffen, dass sich so der nächste Aufenthalt verkürzen lässt.

Aber halt, darf ich das als Wissenschaftlerin, als – wenn es nach den eigenen Wünschen geht – Professorin in spe, überhaupt sagen: dass ich eine Zeit lang unmotiviert war? Disqualifiziert nicht der Anschein von Demotivation für dieses unerbittliche Geschäft, in dem jeder ständig alles geben, publizieren, netzwerken, begutachten, betreuen, vortragen, lehren, lesen, kritisch sein, kreativ sein muss? Ich würde sagen: Paradox, wenn das wissenschaftliche System auf der Jagd nach Wahrheit seine Augen vor der Wahrheit verschließt. Dass das halt einfach nicht geht – und vielleicht sogar gar nicht wünschenswert ist.

Denn was erzeugt Demotivation, wenn nicht Brüche? Was erzeugt sie, wenn nicht einen Zäsur im unhinterfragten Alltag, einen Hiatus im Zustand des und-so-weiter? Ich möchte nicht behaupten, dass jede Phase der Demotivation gut, produktiv, erkenntnisgenerierend ist. Aber die steile These, dass ein wissenschaftliches Leben ohne Phasen der Frustration, des Zweifels, der Demotivation schlecht ist, die würde ich schon aufstellen. Kann die bahnbrechende, das bisher Denkmögliche überschreitende Erkenntnis (boah, das wäre was Schönes!) denn im Leben eines mechanisch motivierten Wesens vorkommen? Ich würde vermuten: nein. Denn dafür müssen feste und hohe Mauern eingerissen werden – dass das funktioniert, ohne sich auch mal von der großen Aufgabe demotiviert zu finden, das kann ich nicht glauben.

War ich also demotiviert, ist mir meine Arbeit deshalb so schwer gefallen, weil ich kurz davor stehe, eine solche Mauer zum Einsturz zu bringen? Wie gesagt: schön wär’s, aber wohl kaum. Viel profaner sind vielleicht einfach ein bisschen viele Dinge zusammengekommen: zu viel ehrenamtliches Zeugs, zu viel Lehre, zu viele Leistungserwartungen an die armen kleinen Post-Docs, zu viel Zukunftsoffenheit, so dass ich irgendwann nicht mehr so recht wusste, in welche Ecke ich mich zuerst wenden soll. Aber es hatte schon auch etwas mit meiner Forschung zu tun: dass ich mit dem Theorieprojekt – eine Kritik des Antiessentialismus zu schreiben -, das ich gerade vorbereite, an einer Stelle auf massive Ablehnung gestoßen bin. Dass in diesem Zusammenhang meine eigene Identität als Wissenschaftlerin in Frage geraten ist. Dass ich mich jetzt selbst offensiv positionieren muss, teilweise wohl auch gegen die Identitätszuschreibungen der Anderen.

Jetzt bin ich also raus aus dem Motivationstief, und Gründe dafür gibt es wieder mehrere. Aber die Entscheidung, mich mit der Zuschreibung der Anderen nicht zufrieden zu geben, mich nicht darauf reduzieren zu lassen, spielt sicherlich eine Rolle. Ein gewiefter Kritiker könnte jetzt einwenden: Merkst du denn nicht, dass du dich mit dieser Aussage wieder voll dem Zeitgeist unterwirfst? Einem Zeitgeist des schamlos (zum Beispiel in der Werbung) propagierten “be who you are”? Dass du dich mit der Ausrufung deiner eigenen Identität vollends zur Mitläuferin deiner Zeit machst, damit also gerade nicht individuell bist? Das ist wohl so, aber das wäre wohl nur dann ein Problem für mich, wenn ich Kulturpessimistin oder -relativistin wäre, die ich nicht bin. Ja, ich oute mich völlig unironisch: ein gesellschaftliches Klima, das Menschen ermuntert zu akzeptieren, dass niemand nur EINS ist und nur EINS bleibt, dass Menschen nicht in den Gruppen aufgehen, denen sie angehören, und dass sie nicht sind, was die anderen von ihnen denken, das erscheint mir wahrhaftig nichts Schlechtes zu sein. Schlecht ist, so würde ich sagen, nur das Totalitäre, schlecht ist es also, wenn gesellschaftlich nur noch das gilt, was sich als absolut singuläre Identität ausweisen kann. Aber als gute Dialektiker – Hegel du Typ, an dieser Stelle einen lieben Gruß an dich – kann es uns natürlich gelingen, das Besondere und das Allgemeine zu vermitteln 🙂

Jetzt bin ich etwas unerwartet von der Motivation zur Dialektik gelangt… Also wieder zurück zur Motivation: Eine Sache, über die ich mir im Motivationstief, diesem unglücklichen Aufenthaltsort, noch Gedanken gemacht habe, ist auch der Umstand, dass es wohl sicherlich sehr unterschiedliche Motivationstypen gibt. Manche Leute brauchen beispielsweise den Druck, um motiviert zu sein, bei mir wirkt der sich nicht so positiv aus. (Sollte das hier jemals von zukünftigen ArbeitgeberInnen gelesen werden: Klar, als professionelle Wissenschaftlerin habe ich natürlich gelernt, äußeren Druck als Gelegenheit zu begreifen, ein eigenes Projekt voranzutreiben!) Ich bin ja eher, was man mir nur selten ansieht, der Killertyp: mich motiviert es, eine Sache – und sei es ein bestimmter Zwischenschritt – zum Abschluss zu bringen. Wenn das inhaltliche Ende in greifbarer Nähe ist, dann mache ich weiter, bis ich es erreicht habe. Das hat Vorteile, das hat Nachteile. Das zu wissen und sich selbst einschätzen zu können hilft auf jeden Fall.

Vor allem scheint mir aber, dass fehlende Motivation etwas mit dem Festhalten am Falschen zu tun hat. An der falschen Forschungsfrage, die einen nicht inspiriert. Am falschen Ort, der einem nichts gibt. Oder eben an der falschen Identität, die einem nicht entspricht. Motiviert die, die das Falsche nicht zu ernst nehmen.

Ein Gedanke zu „Oh Motivation, du seltsames Huhn.

  • Sonntag, der 30. September 2018 um 15:33
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    Sozialtheoretisch korrekt müsste es natürlich heißen: “O Motivation, Du seltsamer Skorpion”

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