Neulich habe ich mich mal ein bisschen auf Neuland (oder vielleicht eher Altland?!) gewagt: pünktlich zum Schulanfang am 12.9. habe ich dem Gymnasium Ottobrunn – da bin ich zur Schule gegangen! – einen Besuch abgestattet. Aber beileibe nicht einfach so, aus Nostalgiegründen. Sondern schon im hehren Auftrag der Wissenschaft. Eh klar. Einen Inputvortrag habe ich da nämlich gehalten, zum Thema “Wissenschaftliche Arbeitstechniken (WAT) lehren”. Klingt dröge? Ist aber megawichtig, megaaktuell, und damit irgendwie auch megaspannend.
Was jetzt so ein bisschen nach missionarischem Eifer klingt – man muss das den LehrerInnen an den Schulen doch mal sagen, wie sie das machen müssen! – ist wirklich null Komma null so gemeint. Weil (Achtung, pauschale These): die Leute an den Unis haben doch eigentlich selbst keinen richtigen Plan, was sie da tun.
(Wenn ich eine Lehrqualitätsvermutung anstellen müsste, würde sie wahrscheinlich sogar eher zugunsten der LehrerInnen ausfallen – immerhin professionelle Fachkräfte kontra trainees-on-the-job…) Aber das Gejammer über die nicht (mehr?) vorhandene “Studierfähigkeit” ist so groß, dass es, wie praktisch, ablenkt von der Frage nach WAT-Lehrfähigkeit. Klar, wäre man ja auch eigentlich nicht zuständig, sollten die ja schon aus der Schule mitbringen. Aber das war wahrscheinlich schon immer zu einfach gedacht, denn (da schließe ich jetzt mal ganz unwissenschaftlich von mir persönlich auf die Allgemeinheit): so richtig schnallen, was Wissenschaft eigentlich ist, was sie macht und wie sie läuft, das tut man doch erst, wenn man mitten drinsteckt. Wäre es da nicht schön, jemand könnte einem in diesem Prozess explizierend unter die Arme greifen? Und nicht nur schön, vor allem fair: Nichtexplikation von Kriterien und Regeln im Bildungssystem ist jetzt nicht gerade das, was den sozialstrukturell Benachteiligten hilft. Hat auch schon der alte Pierre gesagt. Also an die Arbeit(stechnik).
Wissenschaftliche Arbeitstechniken lehren ist nicht einfach. Weil: abstraktes Zeug, langweilig. Außerdem ist der Zeitpunkt schwierig: eigentlich ist es die Basis dafür, eine gute Hausarbeit zu schreiben, aber das begreift man erst, nachdem man schon Hausarbeiten geschrieben hat… Henne-Ei unter WAT-Bedingungen. Und dass ich wirklich wüsste, wie man’s gut macht, wär’ jetzt sicher zu viel behauptet – in meinem letzten WAT-Kurs haben sich die Studis stellenweise schon auch unverkennbar (leerer Blick, Handy-Gefummel…) innerlich verabschiedet. Aber eins weiß ich: wenn man so tut, als würde es in der Wissenschaft vor allem um die Einhaltung formaler Regeln gehen, dann geht funktioniert’s auf keinen Fall.
Wissenschaft, das heißt: Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit. Das ist das Mantra meiner WAT-Kurse. Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit. Manchmal mag ja Wissenschaft als obskures gesellschaftliches Hinterstüberl erscheinen, zu dem man nur zugelassen wird, kann man einen willkürlichen Kanon von selbstauferlegten Regeln runterbeten. Gut gemacht, Hakerl, bitte eintreten. Aber im Grunde ist das Schmarrn. Wissenschaftlichkeit heißt erst mal was unendlich viel Simpleres (die Institution Wissenschaft klammern wir jetzt mal aus): es bedeutet, Aussagen auf eine bestimmte Art und Weise zu treffen – nämlich so, Überraschung, dass sie nachvollziehbar und nachprüfbar sind. Wann immer also jemand meint, in Kursen zu wissenschaftlichen Arbeitstechniken ginge es doch hauptsächlich darum, dass die Leute das richtige Zitieren lernen, werd’ ich direkt grantig. Denn nein, die Leute sollen lernen, wie man Aussagen nachvollziehbar und nachprüfbar macht. Dann verstehen sie auch das mit dem Zitieren.
Wie macht man Aussagen nachvollziehbar und überprüfbar? Dazu ließe sich jetzt ein ganzes Seminar halten, ein WAT-Seminar eben. Aber ein paar Grundsätze lassen sich doch beachten:
- Keine Aussage darf ungestützt bleiben. Es gibt dabei verschiedene Möglichkeiten, eine Aussage zu stützen: durch bisherige Erkenntnis, also auf der Basis des Forschungsstandes. Durch eine eigene Untersuchung, eigenes Datenmaterial, eigene Experimente (die dann natürlich nachvollzieh- und reproduzierbar dargestellt werden müssen). Oder durch Argumentation. Zu jeder dieser Möglichkeit der Stützung von Aussagen gibt es einen Korpus an wissenschaftlichen Arbeitstechniken, die man sich aneignen kann.
- Aussagen stabil zu stützen bedeutet viel Arbeit. Das wiederum heißt nicht nur, dass man, um wissenschaftlich vorzugehen, Zeit und Anstrengung investieren muss. Klar, einen wissenschaftlichen Text zu schreiben dauert länger, als einen persönlichen Befindlichkeitsaufsatz zu verfassen. Es heißt aber vor allem auch, dass eine Transformationsleistung zu erbringen ist, die nur Schritt für Schritt erfolgen kann. Die Erwartung, dass ein Text beim ersten Mal perfekt sitzt, würden die allermeisten erfolgreichen AutorInnen breit belächeln. Man muss also gewillt sein, Transformationen vorzunehmen, sich von Dingen zu trennen, die nicht sitzen (für’s arme Ego manchmal gar nicht so einfach). Wissenschaft bedeutet Arbeit am Gedanken, und Arbeit am Gedanken bedeutet in der Regel: Textarbeit. Aber, das ist das Gute an der Sache: jede Art von Arbeit lässt sich, zumindest bis zu einem gewissen Grad, lernen.
- Texte stehen im Zentrum wissenschaftlicher Arbeitstechniken (in jedem Fall bei Sozial- und Geisteswissenschaftlernden). Ohne die Möglichkeit zur schriftlichen Überlieferung von Gedanken gäbe es keine Wissenschaft. Das ist nun allenfalls ein Indiz für die Zentralstellung von Texten, doch es gibt noch ein weiteres: Gedanken sind erst dann vollständig expliziert, lassen sie sich auch schriftlich dokumentieren. Bzw. umgekehrt: Verschriftlichung ist das wichtigste Mittel zur Explikation, zur Klärung und auch zur Herausbildung eigener Gedanken. Deshalb geht es in meinen WAT-Kursen um Textverständnis, Textanalyse, Textproduktion, Textstrukturierung, Textüberarbeitung. Text, Text, Text.
- Der ultimative Test auf Nachvollziehbarkeit ist die kollegiale Diskussion. Obwohl die “intersubjektive Nachprüfbarkeit” zu den Basiskriterien von Wissenschaftlichkeit gehört, ist das wissenschaftliche Studium heute viel zu stark Einzelstudium. Texte liest man allein, Hausarbeiten schreibt man allein (Gruppenhausarbeiten sind ja häufig gar keine echten Gruppenarbeiten), viele Studis halten am Ende ihres Studiums zum ersten Mal eine echte inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren eigenen Texten in den Händen, das Gutachten zu ihrer Abschlussarbeit. Feedbackkultur gibt es eigentlich kaum, Kritik ist Verletzung, systematischer Austausch wird nicht als konstitutiver Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung verstanden. Schade!
Aus meiner Sicht sind das Bereiche, an denen man dringend arbeiten, bei denen man dringend umdenken sollte. Und, wenn ich noch kurz politisch werden darf: auch aus aktuellem Anlass dringend umdenken müsste. Die Debatte um “Fake News” führt uns doch vor Augen wie wichtig, wie alltagsrelevant, die von uns gelehrte Fähigkeit ist: Aussagen auf ihre Tragfähigkeit prüfen zu können. Das habe ich übrigens am Anfang gemeint mit “megawichtig” und “megaaktuell”. (Vielleicht sollte ich nochmal an der Struktur dieses Textes arbeiten.)
Wie gesagt: ich find’s spannend. Wie man WAT aber nicht nur für mich, sondern auch für die Studis spannend machen könnte, das habe ich ja eben auch noch nicht rausgefunden. Dieses Semester probiere ich es mal mit GANZ viel Übungen und praktischen Einheiten – zu Argumentation, Schreiben, Zusammenfassung, weiterdenken, Strukturierung etc. – aus. Mal sehen, wenn ich Begeisterungsstürme ernte, melde ich mich auf jeden Fall wieder 🙂