Eine Kollegin hat mal gesagt (sinngemäß): “Ich weiß ja, es wird nicht passieren in der Wissenschaft. Aber ich würde mir wirklich wünschen, dass jemand nach einem meiner Vorträge einfach mal sagt: ja, also, das war jetzt super.” Kann ich total gut verstehen, wünsch’ ich mir auch. Man hält ja auch immer wieder Vorträge, bei denen das durchaus passiert – halt nie von allen Rückmeldenden auf einmal, aber man muss seine Erwartungen ja auch nicht übertreiben. Mein Vortrag neulich beim Würzburger Institutskolloquium war aber auf jeden Fall keiner von denen. Und jetzt bin ich unzufrieden.
Es gibt zwei große “UNs”, die mir in meinem wissenschaftlichen Alltag (und nicht nur dort) immer wieder begegnen: die UNsicherheit und die UNzufriedenheit. Die Unsicherheit und ich, wir sind mittlerweile Freunde geworden – erst haben wir uns einschätzen, dann schätzen gelernt. Wenn ich unsicher bin, kann das hauptsächlich zwei Gründe haben: entweder bin ich es, weil ich zu wenig über ein Themengebiet weiß – dann muss ich mir das Gebiet eben noch mehr erschließen, danke für das Signal. Oder ich bin unsicher, weil ich nicht alles über ein Themengebiet weiß – und das geht sowieso nicht. In diesem Fall kommt es darauf an, sich selbst eine Haltung anzueignen dazu, was man für das Wichtigste in diesem Themengebiet hält, und das ist ganz schön Arbeit. Unsicherheit zuzulassen hilft einem dabei, die eigene Festlegung nicht für absolut zu halten (nur weil man so viel Arbeit reininvestiert hat) und auf diese Weise in der eigenen Forschung nicht zu erstarren. Mittlerweile halte ich Unsicherheit für eine der zentralen wissenschaftlichen Ressourcen, sie zuzulassen für eine der bedeutsamsten Kompetenzen. Wer zu sicher ist, wer immer gleich eine Antwort parat hat, wem das Urteil stets auf den Lippen liegt, der langweilt mich heute meistens. Schnelligkeit des Gedankens resultiert häufig aus deren Vorgeformtheit, und wo die Form schon vorher vorliegt, kann sie sich auf das je Gegebene nicht wirklich einlassen.
Mit der Unzufriedenheit dagegen stehe ich noch nicht auf gleichermaßen gutem Fuß – daher wohl das Schreibbedürfnis. Eine Hauptursache für unser distanziertes Verhältnis liegt vielleicht im unterschiedlichen Zeitbezug: bin ich unsicher, kann ich noch was verändern, bin ich unzufrieden, ist das Kind meist erstmal in den Brunnen gefallen. Unzufriedenheit ist so blöd, weil der Grund der Unzufriedenheit in der Vergangenheit liegt. Und da kriegt man ihn nicht mehr weg. So wie meinen Vortrag eben. Nun ist aber natürlich Unzufriedenheit eine so gängige Begleiterin in der Wissenschaft, dass es dagegen diverse Abwehrstrategien gibt. Die wichtigste davon ist vielleicht Abwehrstrategie 1: Rückmeldungen des Publikums relativieren. Die kennen sich nicht aus mit dem Thema, sind befangen in ihrer eigenen Denkweise, denen geht’s doch nur darum, sich selbst zu profilieren. Obwohl gelegentlich einzelne dieser Einschätzungen zutreffen mögen, manchmal auch alle, können es doch nicht mehr als Kontextualisierungen sein, die einem helfen, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ein naheliegender Schluss bei einer solchen Publikumsdiagnose ist aber immer, und hier wird es problematisch: ich muss gar nix ändern, blöd waren ja die. Das ist zwar ein Schluss, aber wohl eher selten der richtige. Neben dieser äußerst verbreiteten Abwehrstrategie wurde mir nach dem Vortrag noch Abwehrstrategie 2 angeboten: mach dir keine Sorgen, an irgendeinem Punkt hat man so oft über das eigene Thema (hier: Disseratationsthema) gesprochen, dass man es halt einfach nicht mehr ganz so spannend machen kann. Aber wann sollte man denn spannend über ein Thema sprechen können wenn nicht dann, wenn man schon so und so oft darüber gesprochen hat? Wenn man also durch die Wiederholung geübt sein müsste im öffentlichen Umgang mit dem Thema? Und ist es nicht eine zentrale professorale Kompetenz, da hat der Hans schon ganz recht (danke, Hans!), Spannung aus dem virtuosen Umgang mit der Wiederholung zu generieren?
Trotzdem haben mir diese Abwehrstrategien geholfen. Nicht, um am Ende keine Konsequenzen ziehen zu müssen. Sondern eher, um das nicht ganz glücklich geratene Ereignis gedanklich wieder loszulassen. Beim Loslassen geholfen hat auch die Analyse des Vortrags selbst: vielleicht etwas zu lang, vielleicht zu sehr eine ideosynkratischen (wenn auch in sich stimmigen) Argumentationslinie folgend, zu wenig von den zentralen Erkenntnissen her argumentierend. Ein Vortrag, der zu wenig gemacht war, um zu überzeugen. Da, wieder was gelernt. Und vielleicht ist das der gute Umgang, den man mit Unzufriedenheit suchen kann: sie als Markierungspunkt möglicher Lerngelegenheiten anerkennen. Und dann weitermachen.
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