Ein Hoch auf die soziologische Netzwerkforschung? Ein Kommentar aus gegebenem Anlass

Das ist ein Kommentar, den ich im Nachgang einer Netzwerktagung im Dezember 2016 geschrieben habe. Es hatte damals so ausgesehen, als ließe sich daraus etwas mehr machen, eine Diskussion über den gegenwärtigen Status der Netzwerkforschung in Deutschland vielleicht? Hat nicht geklappt, klappen halt immer mal Sachen nicht. Vielleicht war der Text auch zu allgemein angelegt, aber mir hat das Schreiben jedenfalls geholfen. Deshalb jetzt also hier, sozusagen zum Jahrestag jener Tagung, ein weiterer Eintrag in meinem digitalen “Denktagebuch” 🙂

  1. Warum sich mit der Netzwerkforschung auseinandersetzen?

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Ethnografie der Parlamente? Im Kommen!

2017-10-12 08.41.39Ja, es gibt sie, die spannende ethnografische Forschung zu Parlamenten! Diejenige, die sich nicht allein mit der Betrachtung formaler Prozesse, quantitativer Zusammensetzungen oder Eigennutzpostulaten zufrieden gibt. Die sich vielmehr dafür interessiert, wie Politik im komplexen institutionellen Arrangement eines Parlaments möglich ist und wie parlamentarische Praxis konkret aussieht. Das hat mir ein Forschungsworkshop im schottischen Edinburgh klar gemacht, den ich vergangene Woche besucht habe – glücklich darüber, dass es da echt einen Haufen Leute gibt, die sich für genau das Gleiche interessieren wie ich! Das Thema des Workshops lautete dann auch passenderweise: “Ethnographies of Legislatures”.

Was haben wir nicht alles für Facetten parlamentarischen Geschehens diskutiert: Mehr lesen

Die WAT-Misere oder: wie Wissenschaftliche ArbeitsTechniken lehren?

Neulich habe ich mich mal ein bisschen auf Neuland (oder vielleicht eher Altland?!) gewagt: pünktlich zum Schulanfang am 12.9. habe ich dem Gymnasium Ottobrunn – da bin ich zur Schule gegangen! – einen Besuch abgestattet. Aber beileibe nicht einfach so, aus Nostalgiegründen. Sondern schon im hehren Auftrag der Wissenschaft. Eh klar. Einen Inputvortrag habe ich da nämlich gehalten, zum Thema “Wissenschaftliche ArbeitsDreischritttechniken (WAT) lehren”. Klingt dröge?  Ist aber megawichtig, megaaktuell, und damit irgendwie auch megaspannend.

Was jetzt so ein bisschen nach missionarischem Eifer klingt – man muss das den LehrerInnen an den Schulen doch mal sagen, wie sie das machen müssen! – ist wirklich null Komma null so gemeint. Weil (Achtung, pauschale These): die Leute an den Unis haben doch eigentlich selbst keinen richtigen Plan, was sie da tun. Mehr lesen

Von der Wissenschaft zur Politik: wenn es Zeit wird, zu handeln.

Schon seit einiger Zeit ist ja völlig klar: es muss etwas passieren. Seit Jahren schon gibt es erstarkende populistische Strömungen in ganz Europa, aber erst mit dem Aufschwung von pegida habe ich begriffen, dass das nicht nur zu vernachlässigende Randerscheinungen sind. Dann diese Häufung von verstörenden Entwicklungen: die Entmachtung des Verfassungsgerichts in Polen, der Brexit, die Geschehnisse in Ungarn, neulich erst die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit dort, jetzt der Angriff auf die Gewaltenteilung in der Türkei, der versuchte Staatsstreich in Venezuela usw. Vor allem aber der Sieg des Populismus in den USA hat mich, wie viele andere auch, endlich begreifen lassen: wenn das im Mutterland der in die Praxis umgesetzten Massendemokratie möglich ist, welche unserer großen freiheitlichen Errungenschaften ist dann noch sicher? Jetzt kann, jetzt darf sich auch die Wissenschaft nicht mehr raushalten. Das ist vielen wohl auch bewusst geworden – daher der “March for Science”, der gestern an verschiedenen Orten der Welt stattfand. Und ich möchte auch mehr tun, aktiv werden. Deshalb beteilige ich mich in meinem Stadtteil an einer Initiative: “Berg am Laim für Demokratie, Freiheit & Europa.” (Weil man nie zu klein ist, große Werte zu vertreten – wer Lust hat, in den ersten – bisschen pathetisch geratenen – Programmentwurf zu schauen, der klicke hier). Aber nicht nur Aktivität nach außen ist nötig, auch nach innen hin muss ich immer wieder meine Gedanken ordnen – weil: einfach ist das ja alles nicht. Also versuche ich hier mal, sechs (politische?) Thesen zur Frage zu entwickeln: was in der derzeitigen Diskussion möglicherweise falsch läuft. Mehr lesen

Mein Seminar in Kritischer Theorie, Teil 2: zur Stellung der Macht

Im vergangenen Semester habe ich in meinem Kurs zur Kritischen Theorie gemeinsam mit den Studierenden die „Dialektik der Aufklärung“ (DdA) von Max Horkheimer und Theodor Adorno gelesen (hierDdA eine kurze Zusammenfassung zentraler Grundgedanken des ersten Teils, die sich aus dem Seminar heraus ergeben hat). Das war durchaus als Experiment gedacht – nicht nur für die Studierenden, sondern auch für mich: wie viel und wie weit kann ich etwas mit diesem Text anfangen? Viel, hat sich herausgestellt, sehr viel. Es gibt ja solche Texte, bei denen man beim Lesen aus dem Denken nicht mehr rauskommt. Das dauert dann zwar, weil Denken halt immer dauert. Dafür ist es wahnsinnig befriedigend. Aber intellektuelle Befriedigung ist eitel und flüchtig, weshalb ich mich jetzt an meine eigene Hausaufgabe für das Seminar setze und Gedanken (wenn auch kurz, so doch schriftlich), der mir als zentral erscheint, reflektiere: die Stellung der Macht in der “Dialektik der Aufklärung”.
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Mein Seminar in Kritischer Theorie, Teil 1: Lernen durch Zumutung

Im vergangenen Semester habe ich in meinem Kurs zur Kritischen Theorie gemeinsam mit den Studierenden die “Dialektik der Aufklärung” (DdA) von Max Horkheimer und Theodor Adorno gelesen. Das war durchaus als Experiment gedacht – die übliche Reaktion der KollegInnen, denen ich vorab von meinem Vorhaben erzählt habe, war dann auch ein entgeistertes: “Was, mit BachelorstudiDdAerenden?!” Aber was soll ich sagen: das Experiment ist gelungen, das Seminar war wirklich toll – eines der schönsten, das ich bisher gehalten habe. Und dass es so toll war, sagt aus meiner Sicht etwas darüber aus, was Lehre leisten sollte. Ich habe mir gedacht, dazu mache ich mir ein paar schriftliche Gedanken.

Seit ich Dozentin bin, höre ich sehr oft und sehr viele Beschwerden über die Studierenden (derzeit aber doch besonders viele…). Neben Polemiken, die sich nicht scheuen, die Worte Faulheit und Dummheit in den Mund zu nehmen, dominiert vor allem eine Kritik: die Studierenden seien nur noch instrumentell am Studium orientiert. Es ginge ihnen also gar nicht (mehr?) um das Lernen an sich, sondern nur noch um die “Credit-Points”, die sie damit abgreifen können. Ich konnte dieser pauschalen Aussage schon immer wenig abgewinnen – zum Teil, weil ich halt in der Regel einer chronisch positiven Sicht auf die Dinge erliege (außer bei Donald Trump – obwohl: mobilisierender Abschreckungseffekt für Europa… ach, kommen wir nicht vom Thema ab…) zum Teil, weil man doch in wohl fast jedem Seminar sieht, dass das so einfach nicht stimmt: warum sollte irgendjemand auch nur einmal den Finger in einem Kurs rühren und zumindest gelegentlich mitdiskutieren, wenn es dabei rein um den geringsten Aufwand ginge? Die “instrumentelles-Lernen-Theorie” zumindest kann das nicht erklären. Mehr lesen

Dealing with Unzufriedenheit

Eine Kollegin hat mal gesagt (sinngemäß): “Ich weiß ja, es wird nicht passieren in der Wissenschaft. Aber ich würde mir wirklich wünschen, dass jemand nach 2017-01-18_Brichzineinem meiner Vorträge einfach mal sagt: ja, also, das war jetzt super.” Kann ich total gut verstehen, wünsch’ ich mir auch. Man hält ja auch immer wieder Vorträge, bei denen das durchaus passiert – halt nie von allen Rückmeldenden auf einmal, aber man muss seine Erwartungen ja auch nicht übertreiben. Mein Vortrag neulich beim Würzburger Institutskolloquium war aber auf jeden Fall keiner von denen. Und jetzt bin ich unzufrieden.

Es gibt zwei große “UNs”, die mir in meinem wissenschaftlichen Alltag (und nicht nur dort) immer wieder begegnen: die UNsicherheit und die UNzufriedenheit. Die Unsicherheit und ich, wir sind mittlerweile Freunde geworden – erst haben wir uns einschätzen, dann schätzen gelernt. Mehr lesen

Meine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Soziologische Theorie und Politische Soziologie. Politiksoziologisch interessiere ich mich insbesondere für

a) demokratische Praxis, zum Beispiel in politischen Institutionen wie Parlamenten oder Parteien, aber auch in Stadtgesellschaften wie etwa in Chemnitz (wo auch die Grenzen des Demokratischen aufscheinen);

b) politische Epistemologie, also den Einfluss, den gesellschaftliche Denkordnungen auf Politik haben (man denke beispielsweise an Diskussionen rund um das ‘postfaktische Zeitalter’) – und umgekehrt;

c) das politische Imaginäre, also die Bilder, die sich Gesellschaft (darunter die politischen Akteur:innen selbst) von Politik macht.

Meine sozialtheoretischen Forschungsinteressen hängen teilweise eng mit den politiksoziologischen zusammen (was sich bereits am Fokus auf politische Epistemologie erkennen lässt) und konzentrieren sich insbesondere auf

a) anti-essentialistische Theoriebildung (bzw. ‘Theorizing’), also Formen der Theoriebildung, die im Zusammenhang mit den Diskussionen rund um das ‘postfaktische Zeitalter’ problematisiert worden sind;

b) sozialen Wandel, insofern es um die Konzeptionierung widersprüchlicher bzw. paradoxer Prozesse, nicht intendierter Nebenfolgen und Diskontinuitäten geht;

c) bestimmte Theoretiker:innen, die ich besonders spannend finde – derzeit zum Beispiel Hannah Arendt, Pierre Bourdieu, Bruno Latour, Theodor Adorno, Karl Popper…

Außerdem bin ich begeisterte empirische Sozialforscherin, mit viel Erfahrung in Sachen Ethnografie, aber auch qualitativer Interviewforschung, Dokumentenanalyse usw. Im Folgenden sind meine bisherigen Forschungsprojekte aufgelistet.

Kritik anti-essenzialistischer Soziologie

DFG-Projekt (Projektnummer 443532822)

ab 2020

Das Forschungsprojekt geht von der These aus, dass Gesellschaft gegenwärtig in einer Geltungskrise steckt. Demnach ist unklar geworden: Welchen Aussagen von wem kann man wann und unter welchen Bedingungen folgen? Zwar ist das Ringen um gültige Aussagen gesellschaftlich natürlich nichts Neues, politische Auseinandersetzungen etwa drehen sich von jeher genau darum. Im Rahmen der Debatten rund um das „postfaktische Zeitalter“ scheint solchem Ringen jedoch eine neue Qualität zuzukommen: Nicht nur, dass es schwieriger geworden ist, eine Einigung zu erzielen – das Ziel der (beispielsweise argumentativen) Einigung selbst scheint an Relevanz verloren zu haben.

Vor diesem Hintergrund kommt der Auseinandersetzung mit anti-essenzialistischem Denken eine besondere Bedeutung zu, denn entsprechende Wissenschaftsdiskurse werden immer wieder mitverantwortlich gemacht für die Ausbreitung postfaktischer Tendenzen in der Gegenwart.

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“Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft” – eine persönliche Rezension

antiWeil ich mich momentan für die Stellung des Menschen in der Sozialtheorie interessiere, interessiere ich mich auch für Bruno Latour. Weil Latour ein Buch geschrieben hat, in dem er den Versuch unternimmt, seine – sich gängigen Anthropozentrismen verwehrende – Sozialtheorie systematisch darzulegen, habe ich das also jetzt mal gelesen (zumindest in großen Teilen). Und weil ich es wirklich in vielerlei Hinsicht inspirierend bzw. interessant – wie wir gleich noch erfahren werden eines der wichtigsten Erkenntniskriterien bei Latour – fand, versuche ich hier, meine Gedanken dazu ein wenig zu ordnen. Also: los geht’s.

Sehr konsequent entfaltet Latour in “Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft” seinen – ist es Sozialtheorie? ist es Sozialontologie? ist es Sozialmethodologie? – Ansatz zur Beschäftigung damit, was er als “Soziales Nr. 2” bezeichnet.  Mehr lesen