Risikodemokratie!

Erschienen, erschienen, erschienen! (Zumindest schonmal digital…) Was für ein Gefühl: Dieses Ding, das uns irgendwie unter der Hand von einer kleinen, netten Idee zu einem ausgewachsenen ethnografischen Forschungsprojekt mutiert ist, ist endlich und wirklich fertig. Mit dem Text bin ich eigentlich wirklich mal zufrieden (ist selten genug), und dann ist es auch noch open access – kurz gesagt: juhu!

Ein paar Rezensionen gibt’s jetzt auch, zum Beispiel:

Dirk Baecker für soziopolis: “Brichzin, Laux und Bohmann legen eine beispielhafte Studie vor, die zeigt, wie eine behutsame und reflektierte Ethnografie eines Ortes oder einer Kultur mit variablen Einsätzen der soziologischen Theorie kombiniert werden kann.” (https://www.soziopolis.de/radikale-volksherrschaft.html)

Stefan Locke in der FAZ: “Das Ergebnis ist eine äußerst anschauliche und frisch formulierte Studie […] mit Schlussfolgerungen weit über Chemnitz hinaus.” (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-es-in-chemnitz-zu-rechtsradikalen-ausschreitungen-kam-18277427.html)

Hier noch kurz ein paar Worte zum Inhalt des Buchs: Den Ausgangspunkt bildet Ulrich Becks populäre Diagnose der “Risikogesellschaft” aus den 1980er Jahren. Entlang des Falls Chemnitz arbeiten wir heraus, dass sich gegenwärtig politisch wiederholt, was Beck damals vor allem für die ökonomische Entwicklung festgestellt hatte: Die Probleme, mit denen die Gegenwart zu kämpfen hat – bei Beck war das insbesondere die Umweltzerstörung, bei uns sind es vor allem anti-demokratische Bewegungen -, erklären sich nicht vor allem aus Scheitern, Gegnerschaft und Angriffen von außen, sondern gerade aus dem enormen Erfolg fortschrittlicher Tendenzen.

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Theorie im ‘postfaktischen Zeitalter’

Programm zu DFG-Projektworkshop

Termin: 8. / 9. Juli 2022

Ort: Universität der Bundeswehr München

Organisation: Dr. Jenni Brichzin (Universität der Bundeswehr München) | Felix Kronau (Universität der Bundeswehr München) | Jakob Zey (Universität der Bundeswehr München)

Impulspapier:

Die Gegenwart ringt mit einer „Wahrheitskrise“ (Pörksen 2019: 24ff.), diese Diagnose scheint sich etabliert zu haben. Die Trump’sche Präsidentschaft gilt vielen als Kristallisationspunkt jener Krise. Diese setzt sich während der Corona-Pandemie – mit ihrer Konjunktur von Wissenschaftsskepsis und Verschwörungstheorie (z.B. Butter 2018; vgl. auch Amlinger/Nachtwey 2021) – nahtlos fort. In dieser Situation sind die Sozialwissenschaften im öffentlichen Diskurs durchaus gefragt:[1] zur Einordnung des Geschehens, für ein paar kritisch mahnende Töne, vielleicht auch mal in Sachen vorsichtiger Prognostik. Solche publizistische Geschäftigkeit verdeckt allerdings, dass auch die Sozialwissenschaften selbst von jenem Ringen um das gesellschaftliche Verhältnis zu Wahrheit nicht unberührt bleiben. Haben wir es nicht nur mit einer gesellschaftlichen Wahrheitskrise, sondern auch mit einer sozialwissenschaftlichen Krise der Theorie zu tun?

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“Und leider bin ich am Ende doch wieder beim Begriff des Rhizoms gelandet”

Theorieinnovation durch Ent-Essenzialisierung und ihre Grenzen

Beitrag bei der Tagung „Begriffe. Vernachlässigte Werkzeuge der Theoriebildung? Ein Aufruf zur Debatte“am 3./4. März in München (bzw. digital)

Problemaufriss
Im vergangenen Jahr hatten wir hier an der UniBw, in unserem soziologischen Kolloquium, Besuch von einer finnischen Kollegin. Salla Sariola heißt sie, und das ist sie. In ihrer Forschung interessiert sich Sariola insbesondere für Mikroben, genauer: für das Zusammenleben von Mikroben und Menschen unter Bedingungen des Anthropozän. Relevant wird ihre Forschung insbesondere vor dem Hintergrund einer drohenden existenziellen Krise: dem post-antibiotischen Zeitalter – einer Zukunft also, in der Krankheitserreger zunehmend resistent werden und Antibiotika ihre Wirksamkeit auch gegenüber jenen Krankheitserregern verlieren, die wir heute so selbstverständlich im Griff zu haben glauben. Um vor diesem Hintergrund zu begreifen, wie ein nachhaltigeres, produktiveres Zusammenleben von Mikroben und Menschen – jenseits des Kampfes um Vernichtung – möglich sein kann, geht Sariola ihrem Gegenstand an ganz verschiedenen Orten nach: bei finnischen Sauerteig-Workshops, im Rahmen einer klinischen Durchfall-Studie in West-Afrika, oder bei der Fermentation von Reis zu Reisbier in Indien. Von letzterem, also einer ethnografischen Studie zur Herstellung von Reisbier, berichtete Sariola uns im Kolloquium. Mehr lesen

Begriffe. Vernachlässigte Werkzeuge der Theoriebildung? Ein Aufruf zur Debatte

Call for Abstracts und Programm zur
Sektionstagung der DGS-Sektionen
‘Soziologische Theorie & Politische Soziologie

Termin: 3./4. März 2022

Ort: Universität der Bundeswehr München

Organisation: Dr. Fabian Anicker (Universität Münster) | Dr. Jenni Brichzin (Universität der Bundeswehr München) | Prof. Dr. Thomas Kern (Universität Bamberg)

Impulsvorträge: Prof. Dr. Eva Barlösius | Prof. Dr. Clemens Kroneberg | Prof. Dr. Armin Nassehi

In der politischen Öffentlichkeit wird seit einiger Zeit intensiv über Begriffe gestritten. Egal ob es um das „generische Femininum“, den Begriff der „Rasse“ oder die adäquate sprachliche Repräsentation von Genderidentitäten geht – überall lässt sich eine erheblich gesteigerte Sensibilität für begriffliche Gehalte und ihre inferenziellen und konnotativen Implikationen feststellen. Fast ist man deshalb geneigt, der Soziologie ein Reflexionsdefizit gegenüber ihrem Gegenstand zu bescheinigen, ist es doch dort eher still geworden um das Thema „Begriffe“. Zwar sind auf der Objektseite soziologischer Forschung Diskurse und ihre Begriffe ein wichtiger Gegenstand der Forschung, aber die Frage nach den Begriffen, mit denen die Soziologie selbst ihre Gegenstände konstituiert und wann neue Gedanken neue Begriffe erfordern, ist immer mehr an den Rand des fachlichen Relevanzspektrums gedrängt worden.

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Projekthomepage – up and running!

Ein bisschen hat’s gedauert, aber jetzt gibt es sie endlich, die Homepage zum DFG Projekt Kritik anti-essenzialistischer Soziologie. Da werden wir in nächster Zeit immer noch ein bisschen weiter dran feilen – und natürlich Veranstaltungen und Publikationen ergänzen! Da steht nämlich schon einiges an. Was uns aber nach wie vor umtreibt: Wie zum Teufel illustriert man ein Theorieprojekt zum Thema Anti-Essenzialismus?! Naja, wir werden’s schon noch rausfinden. Jetzt geht’s erst mal hier lang:

 

How not to criticize postmodern theories.

A personal review of the book “Cynical Theories” by Helen Pluckrose & James Lindsay

Currently, social theories are under attack, both from within the academy as well as in broader public debates. At least, some strands of social theory are: theories that do not aim to discover ‘universal truths,’ but rather trace the social mechanisms and structures that guide the search for and claims to said truths. We could label those theoretical positions constructivist, poststructuralist, anti-essentialist, or, as in the book “Cynical Theories” by Helen Pluckrose and James Lindsay, postmodern. What different kinds of academic and broader intellectual critiques have in common is that they see a causal link between these kinds of social theories and the arrival of the post-truth era which we supposedly live in (e.g. McIntyre 2018; Fuller 2018; Koschorke 2018). Debates revolve around what is frequently – and often pejoratively – referred to as ‘political correctness,’ ‘alternative truths,’ ‘identity politics,’ and ‘social justice.’ To fix what is wrong with society today, these critics often suggest, we need to reject anti-essentialist thinking. Mehr lesen

Gestatten, DFG-Projekt

Seit 2016 liegt mir dieses Projekt auf am Herzen, endlich ist es so weit: Mein DFG-Projekt “Kritik anti-essenzialistischer Soziologie” ist bewilligt, es kann tatsächlich losgehen!! So einen Antrag zu schreiben (ganz zu schweigen vom Überarbeiten, Kritik einstecken, wieder überarbeiten) kann ja echt ziemlich aufreibend sein. Aber wenn es dann klappt, was für ein Gefühl! An meiner neuen Wirkungsstätte hatte ich jetzt vor kurzem die Gelegenheit, mal die Grundidee und den Projektrahmen in einem Vortrag vorzustellen. Weil das aus bekannten Gründen über Zoom sein musste, und weil ich sowieso mal das mit der Videoaufnahme ausprobieren wollte, habe ich den Probedurchlauf aufgenommen. Wer Lust hat, kann hier gerne mal reinschauen! Ab Ende des Jahres widme ich meine Forschung damit voll der Frage: Welche sozialwissenschaftliche und gesellschaftliche Rolle Anti-Essenzialismus im sogenannten “postfaktischen Zeitalter” spielt – eine Form des Denkens also, die Erkenntnis gerade im Absehen von eindeutiger (bzw. absoluter, bzw. eben essenzialistischer) Bestimmung sucht. Allerdings zeigt der Vortrag natürlich auch, dass die Sache – dieses “very German project”, wie mein lieber Kollege Endre es genannt hat – noch ganz am Anfang steht. “Very German” sind meine Projekte am Anfang meistens; am Ende dafür hoffentlich einfach nur noch spannend! Ach ja: hier geht es übrigens zur Stellenausschreibung…

Demokratische Theorie und demokratische Praxis.

Eine Einladung zur Reflexion

Vortrag gehalten auf der Tagung “Die Fabrikation von Demokratie” am 6. Dezember 2019 in Duisburg.

Einleitung

Die gängigen Theorien der Demokratie befinden sich nicht auf der Höhe der Zeit. So lautete eine der Grundthesen im Aufruf zur Beteiligung an dieser Tagung. Zwar wird weltweit um neue Konzepte und Verfahren gerungen, um die Demokratieentwicklung praktisch voranzutreiben – bisher haben wir ja bereits einiges über entsprechende Versuche gehört: Beteiligungsverfahren, partizipative Ansätze, Mini Publics. Wer dabei aber noch nicht recht mitzuziehen scheint, das sind eben die Theorien. So kann man zumindest die Position der Organisator*innen im Call for Papers zur Tagung verstehen, ich zitiere: Mehr lesen

Jede Theorieentscheidung hat ihren Preis

Überlegungen zu anti-essenzialistischen Tendenzen und ihren Grenzen

Vortrag gehalten auf dem 4. Mainzer Symposium der Sozial- und Kulturwissenschaften am 19. September 2019 – Jenseits des Menschen?

1) Die Genese des anti-essenzialistischen Paradigmas aus der Kritik an der Vorstellung unpolitischer Theorie
Theorie ist politisch. So lautet eine der konstituierenden Einsichten anti-essenzialistischen Denkens. Jede wissenschaftliche Theorie besitzt also immer zugleich ein politisches Moment: Sie ist nie unabhängig zu denken von den gesellschaftlichen Verhältnissen, denen sie ihre Formulierung verdankt, und sie wirkt umgekehrt selbst auf jene Verhältnisse zurück. Der Einsicht in diese grundlegende Dialektik wissenschaftlicher Theoriebildung ist, unter anderem, die Etablierung anti-essenzialistischen Denkens geschuldet. Um jene Dialektik dreht sich mein Vortrag. Mehr lesen

Studien zu anti-essenzialistischem Denken

Fast, fast, fast ist es so weit, mein Projektantrag zu einer “Kritik anti-essenzialistischer Soziologie” ist beinahe abgeschickt. Zur Feier des Tages stelle ich jetzt hier mal einen kleinen Versuch hin, den ich im Rahmen von Vorüberlegungen zu besagtem Antrag geschrieben habe – sicher keine fertige Argumentation, aber der ein oder andere interessante Gedanke ist vielleicht drin. Also:

Die Dialektik des Anti-Essenzialismus

Ein Essay zum Zustand der Vernunft im „postfaktischen Zeitalter“.

In einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung hat Albrecht Koschorke neulich beschrieben, wie die Welt derzeit aus den Fugen gerät.1 Doch es war keine der üblichen Einlassungen zum bedenklichen Zustand des globalen Politischen, wie man sie derzeit (völlig zu Recht, würde ich meinen) allenthalben liest. Nein, Koschorkes Aufmerksamkeit richtet sich auf die akademische Welt, genauer gesagt: Er fragt sich, wie der geisteswissenschaftliche Diskurs mit den politischen Verwerfungen zusammenhängt, die zur Ausrufung eines „postfaktischen Zeitalters“ geführt haben. Er schreibt: Mehr lesen