Seit 2016 liegt mir dieses Projekt auf am Herzen, endlich ist es so weit: Mein DFG-Projekt “Kritik anti-essenzialistischer Soziologie” ist bewilligt, es kann tatsächlich losgehen!! So einen Antrag zu schreiben (ganz zu schweigen vom Überarbeiten, Kritik einstecken, wieder überarbeiten) kann ja echt ziemlich aufreibend sein. Aber wenn es dann klappt, was für ein Gefühl! An meiner neuen Wirkungsstätte hatte ich jetzt vor kurzem die Gelegenheit, mal die Grundidee und den Projektrahmen in einem Vortrag vorzustellen. Weil das aus bekannten Gründen über Zoom sein musste, und weil ich sowieso mal das mit der Videoaufnahme ausprobieren wollte, habe ich den Probedurchlauf aufgenommen. Wer Lust hat, kann hier gerne mal reinschauen! Ab Ende des Jahres widme ich meine Forschung damit voll der Frage: Welche sozialwissenschaftliche und gesellschaftliche Rolle Anti-Essenzialismus im sogenannten “postfaktischen Zeitalter” spielt – eine Form des Denkens also, die Erkenntnis gerade im Absehen von eindeutiger (bzw. absoluter, bzw. eben essenzialistischer) Bestimmung sucht. Allerdings zeigt der Vortrag natürlich auch, dass die Sache – dieses “very German project”, wie mein lieber Kollege Endre es genannt hat – noch ganz am Anfang steht. “Very German” sind meine Projekte am Anfang meistens; am Ende dafür hoffentlich einfach nur noch spannend! Ach ja: hier geht es übrigens zur Stellenausschreibung…
Forschungsfragmente
Demokratische Theorie und demokratische Praxis.
Eine Einladung zur Reflexion
Vortrag gehalten auf der Tagung “Die Fabrikation von Demokratie” am 6. Dezember 2019 in Duisburg.
Einleitung
Die gängigen Theorien der Demokratie befinden sich nicht auf der Höhe der Zeit. So lautete eine der Grundthesen im Aufruf zur Beteiligung an dieser Tagung. Zwar wird weltweit um neue Konzepte und Verfahren gerungen, um die Demokratieentwicklung praktisch voranzutreiben – bisher haben wir ja bereits einiges über entsprechende Versuche gehört: Beteiligungsverfahren, partizipative Ansätze, Mini Publics. Wer dabei aber noch nicht recht mitzuziehen scheint, das sind eben die Theorien. So kann man zumindest die Position der Organisator*innen im Call for Papers zur Tagung verstehen, ich zitiere: Mehr lesen
Jede Theorieentscheidung hat ihren Preis
Überlegungen zu anti-essenzialistischen Tendenzen und ihren Grenzen
Vortrag gehalten auf dem 4. Mainzer Symposium der Sozial- und Kulturwissenschaften am 19. September 2019 – Jenseits des Menschen?
1) Die Genese des anti-essenzialistischen Paradigmas aus der Kritik an der Vorstellung unpolitischer Theorie
Theorie ist politisch. So lautet eine der konstituierenden Einsichten anti-essenzialistischen Denkens. Jede wissenschaftliche Theorie besitzt also immer zugleich ein politisches Moment: Sie ist nie unabhängig zu denken von den gesellschaftlichen Verhältnissen, denen sie ihre Formulierung verdankt, und sie wirkt umgekehrt selbst auf jene Verhältnisse zurück. Der Einsicht in diese grundlegende Dialektik wissenschaftlicher Theoriebildung ist, unter anderem, die Etablierung anti-essenzialistischen Denkens geschuldet. Um jene Dialektik dreht sich mein Vortrag. Mehr lesen
Dialektik anti-essenzialistischen Denkens?
Wissenschaftstheoretische Überlegungen zum ‚postfaktischen Zeitalter‘
Vortrag gehalten bei der “Generationentagung” der DGS-Sektion Soziologische Theorie von 13. bis 14. Juni 2019 in Bremen (in einem Tagungshaus wunderschön direkt an der Weser – siehe Foto 🙂 ).
Ich gebe zu: Ein Zeitungsartikel hat mich dazu gebracht, die beiden Forschungsgebiete stärker zusammenzudenken, die mich nun schon seit Zeit umtreiben. Diese Forschungsgebiete liegen dabei im Bereich soziologischer Theorie auf der einen, im Bereich der Politikforschung auf der anderen Seite. Um es noch etwas genauer zu sagen: An soziologischer Theorie fasziniert mich zur Zeit vor allem: wie viele gegenwärtige Theorierichtungen in ihrem Bemühen zu konvergieren scheinen, soziologische Kategorien und Herangehensweisen einer immer noch weitergehenden „Ent-Essenzialisierung“ zu unterziehen. Neben Wissen, Normen und Ideen wird nun auch der Mensch selbst, wird der Körper, wird das Materielle nicht mehr unproblematisch als So-Seiendes hingenommen. Alles wird im sozialen Prozess auflösbar, neu figurierbar, transformierbar. Eine anti-essenzialistische Konvergenz ist zu erkennen – aber darauf komme ich gleich nochmal zurück. In Bezug auf Politik hingegen treibt mich – wie viele andere – derzeit insbesondere die Frage um, wie es zu der, ich sage jetzt mal: Tendenz zur politischen Regression kommen konnte, die sich nun schon seit einiger Zeit in verschiedenen Gegenden der Welt beobachten lässt. In Chemnitz untersuchen wir vor diesem Hintergrund zum Beispiel gerade, wie rechtsextreme Bewegungen sich in einer kleinen Großstadt in Sachsen Raum zu verschaffen suchen. Aber auch darauf werde ich, ganz am Ende, wieder zurückkommen. Mehr lesen
Studien zu anti-essenzialistischem Denken
Fast, fast, fast ist es so weit, mein Projektantrag zu einer “Kritik anti-essenzialistischer Soziologie” ist beinahe abgeschickt. Zur Feier des Tages stelle ich jetzt hier mal einen kleinen Versuch hin, den ich im Rahmen von Vorüberlegungen zu besagtem Antrag geschrieben habe – sicher keine fertige Argumentation, aber der ein oder andere interessante Gedanke ist vielleicht drin. Also:
Die Dialektik des Anti-Essenzialismus
Ein Essay zum Zustand der Vernunft im „postfaktischen Zeitalter“.
In einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung hat Albrecht Koschorke neulich beschrieben, wie die Welt derzeit aus den Fugen gerät.1 Doch es war keine der üblichen Einlassungen zum bedenklichen Zustand des globalen Politischen, wie man sie derzeit (völlig zu Recht, würde ich meinen) allenthalben liest. Nein, Koschorkes Aufmerksamkeit richtet sich auf die akademische Welt, genauer gesagt: Er fragt sich, wie der geisteswissenschaftliche Diskurs mit den politischen Verwerfungen zusammenhängt, die zur Ausrufung eines „postfaktischen Zeitalters“ geführt haben. Er schreibt: Mehr lesen
Die gesellschaftliche Konstruktion politischer Eliten – ein zweiter Analyseversuch
Schon seit einiger Zeit arbeite ich an der Vorbereitung eines Projekts zu der Frage, welche Vorstellungen sich die Gesellschaft von ihren politischen “Eliten” macht. Aktuell scheint mir dieses Forschungsinteresse dabei relevanter zu sein denn je: Populismen haben Aufwind und damit auch die scharfe Polarisierung “des Volkes” auf der einen, “der politischen Elite” auf der anderen Seite (Spier 2010, S. 21). Wie sieht es aber jenseits der TrägerInnen solcherart populistischer Einstellungen mit unserem Bild von politischen Führungsfiguren aus? Unterscheidet es sich tatsächlich so klar von der populistischen Haltung, dass es als zentrales Definitionsmerkmal des Populismus herhalten kann? Auf der Basis der Standardergebnisse entsprechender Umfrageforschung – in denen BürgerInnen ihren politischen VertreterInnen immer wieder attestieren, “abgehoben” zu sein (vgl. Reiser 2018) – dürfen zumindest Zweifel aufkommen. Um dies genauer zu ergründen, dafür ist das Projekt gedacht.
In Vorbereitung dieses Vorhabens habe ich zwei kleine qualitativ-empirische Vorstudien in Form von Lehrforschungsprojekten durchgeführt: Mehr lesen
Wie das Politische erkennen? (alias: Sozialtheorie vs. Verschwörungstheorie)
Ich bin sehr gespannt auf die Tagung der DGS-Sektion Politische Soziologie, bei der ich – gemeinsam mit dem lieben Kollegen Sebastian Schindler – am 26. April einen Vortrag halten darf! Vor allem, weil wir hier zum ersten Mal versuchen, unsere sehr ählichen Forschungserfahrungen theoretisch produktiv zu formulieren. Diskutiert haben wir unsere Ideen (jenseits unserer Dyade) bisher noch nicht, umso interessanter die Rückmeldungen darauf… Hier, wen’s interessiert, der Abstract zum Vortrag:
“Wir nehmen den Aufruf zur Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Stellung der Politischen Soziologie zum Anlass, um uns mit einem Problem zu beschäftigen, das uns in unserer eigenen Forschung zu Phänomenen des Politischen immer wieder begegnet. Aus unserer Sicht steht die Politische Soziologie derzeit insbesondere vor zwei Schwierigkeiten. Erstens wird ihr Gegenstand zu weit begriffen, als dass sie einen konzentrierten Beitrag zum Verständnis einer eminent politisch bestimmten Gegenwart leisten könnte – wo als politiksoziologisch relevanter Gegenstand jeglicher politisch relevante Gegenstand verstanden wird (allen voran vielleicht die im Call zu dieser Tagung angeführte soziale Ungleichheit) wird ihr Zugriff beliebig. In unserem Beitrag setzen wir jedoch an der zweiten für uns erkennbaren Schwierigkeit an: Mehr lesen
Ein Hoch auf die soziologische Netzwerkforschung? Ein Kommentar aus gegebenem Anlass
Das ist ein Kommentar, den ich im Nachgang einer Netzwerktagung im Dezember 2016 geschrieben habe. Es hatte damals so ausgesehen, als ließe sich daraus etwas mehr machen, eine Diskussion über den gegenwärtigen Status der Netzwerkforschung in Deutschland vielleicht? Hat nicht geklappt, klappen halt immer mal Sachen nicht. Vielleicht war der Text auch zu allgemein angelegt, aber mir hat das Schreiben jedenfalls geholfen. Deshalb jetzt also hier, sozusagen zum Jahrestag jener Tagung, ein weiterer Eintrag in meinem digitalen “Denktagebuch” 🙂
- Warum sich mit der Netzwerkforschung auseinandersetzen?
Mein Seminar in Kritischer Theorie, Teil 2: zur Stellung der Macht
Im vergangenen Semester habe ich in meinem Kurs zur Kritischen Theorie gemeinsam mit den Studierenden die „Dialektik der Aufklärung“ (DdA) von Max Horkheimer und Theodor Adorno gelesen (hier eine kurze Zusammenfassung zentraler Grundgedanken des ersten Teils, die sich aus dem Seminar heraus ergeben hat). Das war durchaus als Experiment gedacht – nicht nur für die Studierenden, sondern auch für mich: wie viel und wie weit kann ich etwas mit diesem Text anfangen? Viel, hat sich herausgestellt, sehr viel. Es gibt ja solche Texte, bei denen man beim Lesen aus dem Denken nicht mehr rauskommt. Das dauert dann zwar, weil Denken halt immer dauert. Dafür ist es wahnsinnig befriedigend. Aber intellektuelle Befriedigung ist eitel und flüchtig, weshalb ich mich jetzt an meine eigene Hausaufgabe für das Seminar setze und Gedanken (wenn auch kurz, so doch schriftlich), der mir als zentral erscheint, reflektiere: die Stellung der Macht in der “Dialektik der Aufklärung”.
Mehr lesen
“Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft” – eine persönliche Rezension
Weil ich mich momentan für die Stellung des Menschen in der Sozialtheorie interessiere, interessiere ich mich auch für Bruno Latour. Weil Latour ein Buch geschrieben hat, in dem er den Versuch unternimmt, seine – sich gängigen Anthropozentrismen verwehrende – Sozialtheorie systematisch darzulegen, habe ich das also jetzt mal gelesen (zumindest in großen Teilen). Und weil ich es wirklich in vielerlei Hinsicht inspirierend bzw. interessant – wie wir gleich noch erfahren werden eines der wichtigsten Erkenntniskriterien bei Latour – fand, versuche ich hier, meine Gedanken dazu ein wenig zu ordnen. Also: los geht’s.
Sehr konsequent entfaltet Latour in “Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft” seinen – ist es Sozialtheorie? ist es Sozialontologie? ist es Sozialmethodologie? – Ansatz zur Beschäftigung damit, was er als “Soziales Nr. 2” bezeichnet. Mehr lesen